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„Behavioral Economics“ in der Praxis umsetzen

Nach der Optimierung ist vor der Optimierung. Die Interessen des Unternehmens und des Vertriebs durch Behavioral Economics zusammenführen.
Philipp Plettenberg | 06.12.2021
Steigerung des Vertriebserfolgs: Umsetzung von „Behavioral Economics“ in die Praxis © freepik / monsterstudio
 

Die Ausgangslage: Agile Teams haben die vergangenen Monate damit verbracht, das Produkt zu überarbeiten, es kundenzentrierter zu machen, Zahlungsbereitschaften zu ermitteln und das Monetarisierungspotenzial zu steigern. Die Führungsebene und Vertreter des Vertriebs sind optimistisch gestimmt: Glaubt man ersten Kundenreaktionen aus dem Testfeld, dann wird sich das Produkt wie selbst verkaufen.

Einbindung des Vertriebs fördern

Das Produkt ist gestartet. Nach anfänglichem Interesse fallen die Vertriebszahlen hinter die Erwartungen zurück. Auch wenn die Optimierung des Produkts zwar eine Grundvoraussetzung für den erfolgreichen Verkauf ist, fühlt sich der Vertrieb oft nicht ausreichend in den Prozess eingebunden; kennt sich zu wenig mit dem Produkt aus oder kann sich damit nicht identifizieren. „Ich sehe mich eher als Berater, nicht so sehr als Verkäufer.“, „davon verstehe ich zu wenig, das machen meine KollegInnen“ oder „ich kann bei den oberen 20% nicht mithalten und gewinne Vertriebsinitiativen doch ohnehin nie“ sind Statements, die wir bei unserer Zusammenarbeit mit Vertriebsorganisationen oft hören. 

Es gilt, die Verbindung Produkt-Vertrieb (wieder) herzustellen; der Vertrieb muss sich mit dem Produkt identifizieren. Neben einer verstärkten Einbindung in den Prozess kann der Vertrieb durch Setzen der richtigen Anreize auf Hochtouren gebracht werden.

Mit Anreizen MitarbeiterInnen motivieren

Monetäre Anreize sind jene, die in erster Linie in „hartem Geld“ abgegolten werden: Boni bei Zielerreichung, Sachpreise, Teilnahme an Events/ Reisen, größere Autos und bessere Parkplätze, zusätzliche Urlaubstage. Sie eignen sich besonders bei eingespielten VertriebsmitarbeiterInnen, die sich vollinhaltlich mit dem Beruf identifizieren und unter Druck zu Höchstleistungen avancieren. Unserer Erfahrung nach sind das – je nach Organisation – 10% bis 50% der Vertriebsmannschaft.

Daneben gibt es eine reihe nicht-monetärer Anreize, die MitarbeiterInnen anspornen, ohne negative Auswirkungen auf die Kosten zu haben: Top-Performer Listen, Erwähnungen durch den Vorstand, Mitarbeiterinterviews und Publikationen/ „Gesichter“ des Unternehmens oder auch Zur-Verfügung-Stellen von Arbeitszeit für (selbst gewählte) karitative Zwecke. Die Ziele sind (leider) oft deckungsgleich mit jenen der monetären Anreize. Das heißt, der Vorstand erwähnt jene Mitarbeiter, die am meisten verkauft haben (und verschießt somit Pulver).

Die aus unserer Sicht potenzialreichsten Maßnahmen sind der dritten Kategorie von Mitarbeiteranreizen zuzuordnen: Verhaltensökonomische „Nudges“, zu Deutsch mit „Anstupser“ übersetzt, bei denen der Vertrieb im ersten Moment gar nicht wahrnimmt, dass sie existieren und für mehr Vertriebsaktivität sorgen sollen. Diese dritte Kategorie nutzt Effekte aus der Verhaltensökonomie („Behavioral Economics“) um gewünschtes Verhalten hervorzurufen.

Wie Nudging im Vertrieb eingesetzt werden kann

Emotionalisierung/ Wunsch, sich selbst zu übertreffen: Die Vertriebsleistung wird nicht mit anderen Kollegen und Kolleginnen, sondern nur mit der eigenen Leistung vom Vortag verglichen („Im Vergleich zu gestern hast du +4 Kundenanrufe getätigt“). Der Vorteil: Verbesserung in kleinen Schritten/ „im eigenen Tempo“ werden ermöglicht, unabhängig davon, wie schnell und effektiv die anderen KollegInnen sind („morgen möchte ich mindestens genauso gut sein wie heute“ vs. „mit denen da oben kann ich ohnehin nicht mithalten“, oder: „danke, dass ihr mich daran erinnert, dass ich zu den unteren 20% gehöre“).

Vereinfachung/ Gamification: Kunden wird vor Gesprächsanbahnung ein Quiz/ Gewinnspiel  (in Papierform oder digital) ausgespielt. Das Quiz ist aus verhaltensökonomischer Sicht optimiert und macht Appetit auf das im Fokus stehende Produkt. Der Vertriebsmitarbeiter, der Kunden „nicht gerne überfällt“, sondern lieber auf konkrete Fragen reagiert/ berät, als aktiv zu verkaufen, erhält so die Möglichkeit, spielerisch auf den Kunden zuzugehen (Eisbrecher: „mich hat ja vor allem die Antwort auf Frage 2 überrascht, worauf haben Sie getippt?“) bzw. wird vom Kunden aktiv auf das Produkt angesprochen.

Soziale Bestätigung/ Bahnungseffekt: Fällt der Zug zum Tor schwer – oder anders gesagt: Findet zwar die Beratung, aber nicht der Verkauf statt, kann ein Formular Abhilfe schaffen, das nach jedem Beratungsgespräch „Zur Hilfe sowohl für Sie als Kunden, als auch für mich als Verkäufer“ ausgefüllt wird. Es enthält neben dem Datum, dem Namen des Kunden und dem Namen des Verkäufers auch das Produkt zu dem gesprochen wurde und eine einfache Frage: „Wurde das Produkt heute gekauft, oder wurde ein Folgetermin (wenn ja, wann) vereinbart?“ So wird der unangenehme Druck, dem Kunden die Frage zu stellen, ob er denn kaufen möchte, genommen. 

Zweistelliges Umsatzwachstum dank Verhaltensökonomie

Dabei handelt es sich keineswegs um theoretische Effekte. Ein Finanzdienstleistungsanbieter hat im Rahmen einer deutschlandweit angelegten Kreditoffensive mit Hilfe einer einzigen verhaltensökonomischen Vertriebsmaßnahme das Ergebnis nachhaltig um über 10% gesteigert (gegen Bundesdurchschnitt, der ohne verhaltensökonomische Maßnahme „normal weiterverkaufte“).

Während die Maßnahme in der Retrospektive einfach und naheliegend wirkte, war der Weg dorthin durchaus anspruchsvoll. Erst nach einer detaillieren Analyse des Sales Funnels und daraus abgeleiteten Schwachstellen der Vertriebsorganisation konnten mehrere geeignete Maßnahmen identifiziert und getestet werden.

Ein agiles Vorgehen im Build-Measure-Learn Ansatz ist dabei unumgänglich: Dabei werden eine langliste an Hypothesen/ möglichen Initiativen im erweiterten Projektsetup identifiziert – je größer der Kreis der Teilnehmenden KollegInnen, desto höher die Akzeptanz bei der Durchführung. Die vielversprechendsten Maßnahmen (z.B. gewichtet nach erwartetem Impact vs. Implementierungsaufwand) werden detailliert und für den Piloten vorbereitet. Erfolgsentscheidend ist, die Entwicklung täglich zu beobachten/ zu überwachen und bei Abweichen sofort korrigierend einzugreifen. So lernt die Organisation, was (für sie spezifisch) funktioniert und kann weitere Maßnahmen in der Folge noch effizienter und erfolgreicher umsetzen.

Mit Behavioral Economics Vertrieb positiv beeinflussen

Nudges müssen auch den Vertrieb „als Kunden“ im Auge haben: Was ist sein Schmerzpunkt, wie können wir ihm begegnen/ wie können wir das Vertriebsleben einfacher gestalten? So haben verhaltensökonomische Hebel auch den gewünschten Effekt und werden positiv – und nicht manipulativ – als Verkaufsunterstützung vom Vertrieb wahrgenommen.

Fazit: Nach der Optimierung ist vor der Optimierung

Unseren Klienten empfehlen wir, Produkte zu 90% zu optimieren und spätestens dann den Fokus auf den erfolgreichen Vertrieb zu lenken. Die Vertriebsmannschaft darf dabei nicht als homogene Gesamteinheit verstanden werden. Individuelle Segmente haben unterschiedliche Bedürfnisse, die es zu identifizieren und zu adressieren gilt. Während „mehr Geld = mehr Vertriebsleistung“ bei einem kleinen Teil der Vertriebsmannschaft gegebenenfalls funktionieren kann, ist die Lösung für eine nachhaltig agierende Vertriebsorganisation deutlich vielschichtiger. Ein agiler Build-Measure-Learn Ansatz hilft dabei, effektive Hebel zu identifizieren und stetig nachzubessern. Im Ergebnis kann das Vertriebsergebnis nachhaltig – und ohne signifikante Mehrkosten – gesteigert werden.


Weitere Informationen finden Sie auf www.ntsal.com

 

 

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