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Das Metaverse – ein langfristiger Plan

Was kommt dabei raus, wenn eine Kennerin der Luxusbranche, ein Agentur-CEO, ein AdTech-CEO und ein Journalist versuchen, sich dem Metaverse zu nähern?
Frank Puscher | 10.03.2022
Das 5G-Stadion von Verizon gilt als eine der gelungensten Adaptionen einer Marke an Fortnite und somit das Metaverse © Bild: Screenshot
 

Das Metaverse ist in aller Munde. Für manche ist es längst da in Form von einzelnen virtuellen Welten, in denen andere Gesetze gelten, als in der analogen Realität aber auch als im klassischen Web. Für andere entsteht es gerade erst in Form der einen, übergreifenden 3D-Welt, in der alles zusammenkommt.

Im Rahmen eines Roundtables auf der Digitalkonferenz der MarketingBörse diskutierten vier Teilnehmer über ihr Verständnis vom Metaverse und die Konsequenzen für Marketing und Advertising. Maria von Scheel-Plessen kennt die Luxusgüterindustrie bestens. Die Luxusmarken haben bekanntlich starkes Augenmerk auf NFTs (Non fungible tokens) gerichtet. Toan Nguyen, der Gründer und Geschäftsführer von Jung von Matt Nerd beleuchtete die Agentur-Perspektive und Sebastian Thelen widmete sich der technischen Seite und den Möglichkeiten für immersive Werbung. Die Fragen stellte Frank Puscher, Journalist mit Digitalfokus seit 30 Jahren.

Was ist das Metaverse?

Die Definition des Metaverse fiel der Runde gar nicht so schwer, wie das angesichts des großen Chaos dieser Tage zu erwarten wäre. Toan Nguyen zeichnet das Bild eines Planetensystems mit kleineren und größeren Sternen. Diesem Bild pflichteten alle Speaker bei. Ob es zur Verschmelzung der Planeten zu einem einzigen Metaverse kommt, wird dagegen bezweifelt. „Das Metaverse ist keine alternative Welt, sondern ein Layer. Ich sehe das Metaverse als System von Planeten. Die Hoffnung auf Interoperabilität sehe ich kritisch. Das ist technisch heute noch ganz weit weg davon und ich bezweifle, dass das wirklich umfassend funktioniert“, sagt Toan Nguyen.

Nguyen betonte auch, dass es derzeit eine regelrechte Hysterie im Markt gibt. Er begründet das mit der Angst vieler Marketer, einen wichtigen Trend zu verpassen. Maria von Scheel-Plessen pflichtete dem Hamburger bei. Das Thema läuft in der Luxusbranche derzeit richtig heißt. Gleichzeitig trat Sebastian Thelen auf die Bremse: „Wir reden bei den größten Blockchain-Plattformen von 300.000 Nutzern im Monat. Wir stehen heute im Jahr 1998, bezogen auf das Web 1.0. Es gibt ganz viele Visionen, aber es gibt auch noch ganz viel zu tun“.

Thelen wartet sehnsüchtig auf die neue Augmented Reality Brille von Apple. Sie und ihre Artgenossen soll den immersiven Systemen einen starken Schub geben. Der Zugang wird für die Menschen einfacher und direkter, als über das klobige VR-Headset.

Was ist das Besondere an der immersiven 3D-Welt

„Wenn man sich in eine Kultur einarbeiten will, muss man verstehen, dass Liebe keine Einbahnstraße ist. Wer als Love-Brand wahrgenommen werden will, muss erst einmal Liebe geben, für die Menschen in der Community etwas tun“. Toan Nguyen legt die Latte hoch. Den einfachen Einstieg in die schöne neue Marketingwelt gibt es seiner Auffassung nicht. Es braucht eine Veränderung im Mindset der Marketer.

 

Toan Nguyen von Jung von Matt Nerd rät Marken, sich zunächst in die Community einzufühlen: „Nur wer Liebe gibt, kann auch Liebe empfangen“. – Bild: Jung von Matt

 

Und diese Veränderung ist in vollem Gang, bestätigt Maria von Scheel-Plessen. Der Marketingplan vieler Marken relativiert gerade die Bedeutung von automatisierten Performance-Kanälen wie Programmatic Advertising, weil angesichts stark gestiegener Preise der ROI nicht mehr stimmt. „Wir fokussieren gerade wieder stärker auf analoges Marketing. Murals, Street Art, vielleicht auch hochwertige Printwerbung. Performance-Kanäle wie Programmatic werden eher heruntergefahren“.

Da passt auch die Idee des Metaverse gut rein, denn auch hier geht es darum, Erlebnisse zu schaffen und nicht einfach nur Werbung zu schalten. Der Gucci Garden ist eine 3D-Visualisierung des florentinischen Vorbilds. Darin kann man Produkte kaufen, aber auch Teil von Geschichten werden. „Im realen Vorbild sind keine Guides unterwegs, sondern echte Storyteller“, erklärt Scheel-Plessen die Keimzelle des Ansatzes.

So ganz will Sebastian Thelen nicht mitgehen. Der einfache Einstieg ins Metaverse kann seiner Auffassung schon auch über Advertising erfolgen. Seine Company 42Meta hat einen AdServer gebaut, der Werbung ausspielt und dabei die Daten der Avatare nutzt, die in der Nähe sind. „Zwei Avatare sehen dann unterschiedliche Werbung“, so Thelen. Die Brücke zu Nguyen und Scheel-Plessen schlägt er mit der Forderung, dass auch programmatische Werbung ja viel kreativer werden kann, wenn zum Beispiel die Formatrestriktionen von Bannern oder Plakaten wegfallen. „Im Metaverse kann ich ganz anders werben. Ich brauche überhaupt kein Display mehr. Der digitale Vogel kann einen Schal tragen, der gut zum aktuellen Outfit des Avatars passt“.

 

 

Sebastian Thelen ist der Auffassung, dass Virtual Reality echtes Potenzial für kreative Kampagnen hat – Bild: Sebastian Thelen

Sonderkonjunktur NFT

Die Non fungible Tokens, die als Teil des Metaverse gesehen werden, genießen eine Sonderrolle. Sie sind recht einfach zu publizieren und versprechen vor allem starken Marken schnelle Erfolge. Toan Nguyen betont den Startvorteil starker Marken: „Luxusmarken und Metaverse passen extrem gut zusammen, weil es ja im digital Space eben nicht um die Supply Chain geht sondern um den Markenwert. Die Pullis von Balenciaga in Fortnite sind total konservativ geschnitten, obwohl das im Digitalen ja auch ganz anders sein könnte. Trotzdem kaufen die Menschen das, weil die Marke vorne draufsteht“.

Maria von Scheel-Plessen sieht einen hohen Wert in der Tatsache, dass NFTs durch die Absicherung in der Blockchain exklusiv und somit knapp sind. Das entspricht der Idee der Luxusmarken, nicht „always on“ Präsenz in der Plattform zu zeigen, sondern mit einzelnen Aktionen Highlights zu setzen, über die gesprochen wird.  „Wir erhalten sehr viele Kundenfragen darüber, wann wir die nächste NFT-Aktion planen. Das scheint für uns ein authentischer Kanal zu sein“, sagt sie. „Das ist meine persönliche Meinung.“

 

Für Maria von Scheel-Plesssen erschließt das Metaverse neue Zielgruppen. Und die Verknappung durch NFT passt zu den Luxusmarken – Bild: Maria von Scheel-Plessen 

 

Aber wie passen denn die Idee von Luxus und Exklusivität zum Grundprinzip, dass man als Marke auf die Community zugehen soll? „Das widerspricht sich nicht. Schon die Anwesenheit großer Marken ist für die User wichtig“, sagt Nguyen. Tatsächlich zeigen viele Luxusmarken, wie zum Beispiel Gucci, dass sie junge Zielgruppen durchaus verstehen. Sie sind schrill, bunt und innovativ. Und insofern erarbeiten sie sich die Berechtigung, Teil der Community zu sein, auch wenn nur einige wenige sich die Produkte leisten.

Allerdings sieht Toan Nguyen auch, dass der Hype um NFTs sich nicht für jeden auszahlen wird. Das Veröffentlichen von reinen digitalen Kunstwerken, die eventuell als Sammlerstücke gehandelt werden, bleibt besonderen Persönlichkeiten und Künstlern vorbehalten. „NFTs nur als Collectible zu denken greift zu kurz. Es geht um die langfristige Strategie, es geht um die Mints, die Airdrops (Minting: Registrierung der Datei in der Blockchain und somit Umwandlung in ein NFT, Airdrop: Ergänzung der Funktionalität des NFT nach der Veröffentlichung). Man kann sich das wie die Dividende bei der Aktie vorstellen. Die NFTs von Gary Vaynerchuck funktionieren unter anderem auch deshalb, weil da Eventtickets dranhängen“.

Was muss passieren, damit das Metaverse zum Massenmedium wird?

Für Sebastian Thelen ist das ausgemacht. Er setzt auf die Kraft des Wettbewerbs zwischen den unterschiedlichen Konzepten und Ansätzen. Da wird für jeden etwas dabei sein, vom Spiel bis zum virtuellen Arbeiten. Was es jetzt braucht, sind vor allem mehr User und Avatare, die die derzeit noch verwaisten digitalen Landschaften in Decentraland bevölkern.

Rein technisch betrachtet, ist es für Toan Nguyen noch ein weiter Weg, zu echter Interoperabilität zwischen den verschiedenen Plattformen. Auch der Hamburger ist der Überzeugung, dass der Wettbewerb zwischen den Plattformen auch die User-Base nach oben treiben wird. Vor allem dann, wenn sich die großen Plattformen wie Meta einmischen.

Und was sollen Marken tun?

Für Toan Nguyen ist es vor allem die Entwicklung einer langfristigen Strategie. Wofür steht eine Marke und wie lassen sich diese Werte in die Idee immersiver Systeme übersetzen. „Marken kommen zu uns und wollen ihren Messestand digitalisieren. Das machen wir nicht. Never. Unternehmen unterschätzen, welchen Aufwand es bedeutet, gute Utilities und Benefits zu konzipieren“.

Für die Marken stellt sich hingegen die Frage, wie sich das Ganze strukturell umsetzen lässt. In einer ersten Phase hat Gucci eine eigene Unit eingerichtet, die sich um die Grundidee des Storytellings kümmern soll. Andere Marken starten eher aus dem bestehenden Social Media Team heraus. Wieder andere nähern sich dem Metaverse über Ingame-Advertising.

Für Maria von Scheel-Plessen ist Advertising im Metaverse nur eine Frage von Monaten. „Das spielt noch keine Rolle. Es wird aber bald kommen“.

Für Sebastian Thelen geht es auch darum, dass Marken das Thema Metaverse nicht zu verkopft angehen und die Erkenntnisse, die man aus anderen Werbewelten schon gewonnen hat, aufs Metaverse anwendet. Nur eines fordert Thelen vehement: „Auch in Programmatic Advertising müssen wir kreativer werden. Und Virtual Reality hat hier enormes Potential“.

Und nicht zuletzt sollte man die Aktivitäten im Metaverse auch danach ausrichten, was eine Marke in der nicht-virtuellen Welt darstellen will. Die Blockchain ist in der Kritik, was den Ressourcenverbrauch angeht. Toan Nguyen erkennt, dass diese Diskussion auch bei den Technologen angekommen ist. Neue Blockchain-Konzepte wie Solana kommen mit einem Bruchteil der Energie aus und verursachen weniger Kosten.

Bei vielen Weltmarken ist die Diskussion um Nachhaltigkeit in vollem Gang: „Ja, das wird bei uns aktuell schon intensiv diskutiert. Wir dürfen ja nicht gegen unsere Markenwerte verstoßen“, meint Maria von Scheel-Plessen.

Eine digitale Handtasche hat sie nicht. Noch nicht. Toan Nguyen hingegen hat den Schrank voll von NFTs und entsprechenden Beteiligungen. „Das beste NFTs ist das, was Du nicht mehr hergeben willst, auch wenn Du ein sehr hohes Angebot bekommst“.

 

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Frank Puscher ist Journalist mit über zwei Jahrzehnten Berufserfahrung.