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Wie die Digitalisierung das Creative verändert

Die digitale Außenwerbung ist ganz anders als ihr klassischer Vorgänger. Werbungtreibende müssen ein komplett neues Medium lernen.
Frank Puscher | 27.04.2022
Zalando stattete in Wien Bushaltestellen mit Zerrspiegeln aus © Zalando, Gewista
 

DOOH ist einer der Rising Stars am Werbehimmel. Aber während CTV so ähnlich ist wie TV nur genauer, ist die digitale Außenwerbung ganz anders als ihr klassischer Vorgänger. Mit einer Ausnahme: Beide erzielen viel Reichweite.

„Mir fehlt noch das Kreative. Die meisten Kampagnen schöpfen die Möglichkeiten von Digital out of home nicht aus“, sagt Claudia Zayer, die DOOH-Chefin beim Vermarkter Goldbach. Zayer muss es wissen. Sie und ihr Team sprechen täglich mit interessierten, vor allem kleineren Kunden, die einen ihrer Bildschirme buchen wollen, weil sei einen Laden in der Nähe haben oder weil sie schnell Reichweite aufbauen wollen. Und im ersten Schritt will Zayer auch gar nicht, dass sich die Werbungtreibenden so sehr viele Gedanken machen, vor allem nicht über Technik. Erst in einem zweiten Schritt soll man sich vortasten, und mehr aus Medium herausholen. „In meiner idealen Welt wird extra für DOOH das Werbemittel produziert“. In der Praxis bekommt sie Videospots, Animationen oder Banner vorgelegt und soll sie adaptieren.

Alles neu macht digital

So einfach ist das für die Werbungtreibenden auch nicht. Vor allem nicht für solche, die bislang noch nicht oder wenig im digitalen Werbeuniversum zuhause sind. Sie müssen ein komplett neues Medium lernen. Das hat nicht mehr so sehr viel mit klassischer Plakatwerbung zu tun.

Natürlich kann man weiterhin sehr große Bildschirme in großer Zahl für einen langen Zeitraum buchen, und dort ein Motiv zeigen. Das entspricht annähernd den Prinzipien der klassischen Plakatwerbung. Und die sind bekannt: „Wenn es gelingt, Markenbotschaften maximal zu verdichten, verleiht Außenwerbung jeder Kampagne die Strahlkraft eines Leuchtturms – mit einer unübersehbaren Präsenz im öffentlichen Raum“, weiß Udo Schendel, der Geschäftsführer von Weischer JVB, aus jahrzehntelanger Erfahrung.

Aber DOOH ist eben nicht nur eine Erweiterung der Möglichkeiten der Außenwerbung. DOOH verlangt nach einem neuen Setup für die Buchung und nach einer neuen Systematik in der Kampagnenplanung. Außerdem ist agile Kampagnenoptimierung gefragt. Ein Prinzip, das die klassische Außenwerbung gar nicht kennt.

„DOOH wird zunehmend als digitale Teildisziplin angenommen“, so Claudia Zayer. Will sagen: Marketer, die Erfahrung mit Datenmarketing jedweder Art haben, tun sich leichter, die neuen Möglichkeiten zu adaptieren und umzusetzen. Goldbach erhält vermehrt auch Anfragen von Digitalagenturen, die ihre Banner-Kampagnen auf die Straße verlängern wollen.

Aber die Systematik der Ausführung und Buchung einer Kampagne ist nur eine Facette der durchgreifenden Veränderungen, die dem Außenwerbemarkt bevorstehen. Es gibt um eine Umwälzung der gesamten Kampagnenplanung mit weitreichenden Folgen für die Kreation. „Anstatt nach der Freigabe des Mediaplans den Kreativen eine Liste mit erforderlichen Materialien zu überreichen, ist es effektiver, bereits vor bzw. während der Mediaplanung zu überlegen, wie die Media-Insights in Inhalten umgesetzt werden können“, erläutert Diederick Ubels, Gründer der niederländischen DOOH-Agentur Sage & Archer.

Mediaplaner, Kampagnenstrategen und Kreative sollen also schon von Beginn an zusammen am Tisch sitzen, und sich die Kampagne ausdenken. Schöner Gedanke. In der Praxis ist es oft ein Parallelprozess. Während der Pitch um die Media-Etat noch läuft, arbeitet die Kreation bereits am

Werbemittel. Dabei kennt sie die gesamte Bandbreite der Möglichkeiten erst, wenn der Mediaplan steht.

Granularität und Targeting

Das erste, was bei DOOH auffällt, ist, dass kein Team aus Plakatierern mit dem Van vorfahren muss, um eine Litfaßsäule zu bekleben. Das Wechseln der Motive funktioniert im Digitalen auf Knopfdruck. Das bedeutet, dass kleinere und folglich auch preiswertere Werbeslots zur Verfügung stehen. Auch die Fixkosten sind geringer, so dass es sich lohnen kann, nur einen einzigen Bildschirm zu buchen. Das bedeutet, dass potentiell ein ganz neues Werbersegment in den Markt kommt: kleinere, mittlere und vor allem lokale Unternehmen. Bei Goldbach in Unterföhring rufen schon mal Händler an, die mit einem Budget von 500 Euro an den Start gehen. Und auch die werden bei DOOH fündig. 

Für die Kreation bedeutet mehr Granularität: Man kann Kampagnen auf bestimmte Tageszeiten ausrichten. Man kann sie recht kurzfristig an Ereignisse koppeln. Und man kann sehr gezielt auf den Standort des Bildschirms oder der Stehle Bezug nehmen. Bahlsens Pickup hat in einer preisgekrönten Kampagne die Münchner mit „Servus Schickeria“ angesprochen. Das gleiche Motiv hätte in Hamburg nicht funktioniert.

Die kreativen Möglichkeiten, die sich daraus ableiten, sind grenzenlos. McDonalds wirbt direkt bei Whopper vor der Haustüre, um Kunden wegzulocken. Netflix kann aber auch vor der Tür des Fitnesscenters werben „Genug trainiert? Zeit für einen Film auf der Couch?“.

Das „Targeting“ erfolgt bei der Außenwerbung auf einen Standort und eine Uhrzeit. Datenanbieter verdichten die entsprechenden Passantenströme zu Zielgruppen. Das kennt man vom Digitalmarketing. Besondere Bedeutung hat aber auch der jeweilige Kontext einer Platzierung. Steht der Bildschirm in der Fußgängerzone oder hängt er in einer Bushaltestelle? Das Creative sollte berücksichtigen, wie lange die Dauer und wie hoch der Grad der Aufmerksamkeit auf einem Werbemittel sind. Und lesbar sollte die Botschaft auch auf kleinen Bildschirmen allemal sein.

Inzwischen stehen DOOH-Werbern Bildschirme in Arztpraxen, Fitnesscentern, Office-Spaces, in Aufzügen, in Golf Carts oder in Zügen und U-Bahnen zur Verfügung. Alles Situationen, die im Vergleich zu den klassischen Locations an der Straße, in der Fußgängerzone oder in der Shopping-Mall, eher längere Verweildauer und mehr Aufmerksamkeit versprechen. Dafür sind die Bildschirme kleiner.

3D und Bewegtbild

„Im Vergleich zu OOH kann man die Zeit bei DOOH-Kampagnen besser in Kreativität investieren“, meint Dederick Uebels. Und das sollte man auch tun, denn es macht Spaß. Die Mode- und Parfümmarke Paco Rabanne hatte eine gute Idee und etwas Glück. Man wollte eine Kampagne in 3D-Optik auf den Bildschirm bringen. Und das geht besonders gut mit Displays, die nicht einfach nur rechteckig sind. Eine hohe Auflösung und Bildwiederholfrequenz brauchen sie auch.

Die Nachfrage nach 3D-Werbung wächst auch in Deutschland © Goldbach

Paco Rabanne nutzte digitale Werbeflächen für intensiven Werbedruck in Berlin © Goldbach

Zufällig brüteten Claudia Zayer und ihr Team just im selben Moment über der Frage, mit welchem Kunden man eine 3D-Werbung mal umsetzen könnte, um diese Portfolioerweiterung auch anderen schmackhaft zu machen. Es ging um Bildschirme in der Nähe der Mercedes-Benz Arena in Berlin. Wenige Wochen später tanzte ein kleiner Roboter von Paco Rabanne simultan über mehrere Bildschirme und fiel scheinbar immer wieder aus dem digitalen Rahmen.

DOOH ist Bewegtbild und kann 3D. Selbst Kampagnen mit Standbildern werden animiert, um mehr Aufmerksamkeit anzuziehen. Sie müssen natürlich so konzipiert sein, dass sie ohne Ton auskommen. Auch ein bestehendes Videosignal kann auf eine Stehle projiziert werden. Weischer JvB realisierte für Dolomiti Superski eine Kampagne, in der die Livebilder aus der Skiregion gezeigt wurden. Aber nur, wenn die Sonne schien und Schnee lag.

Das Skigebiet Dolomiti Superski inszenierte Webcam-Bilder auf den Werbemonitoren © Weicher JvB

3D ist der neue Star am Himmel der Außenwerbung. Begonnen hat Balenciaga mit einer Kampagne mit einem animierten Hund aus dem Spiel Fortnite. Dann haben die Ghostbusters für die Bewerbung des dritten Teils „Legacy“ gefährliche Autostunts auf die Fassade am New Yorker Times Square praktiziert. Zuletzt glänzte Nike mit einer umwerfenden 3D-Kampagne an der Einkaufsstraße Ginza in Tokyo. Alle drei Kampagnen haben das Zeug, auch von einem jungen Publikum cool gefunden zu werden. Und dass bei einer Mediengattung, die zwischenzeitlich gerne mal von wahlkämpfenden Politikern dominiert wird. Eher weniger cool.

Das Spielen mit optischer Täuschung und „erzwungener“ Perspektive wirkt spektakulär © Nike

 

Dynamic Creative und Dynamic Creative Optimization

Noch einmal zurück zur Dolomiti-Kampagne. Die Darstellung eines Livebilds auf Monitoren in München und Stuttgart funktioniert natürlich nur, wenn die Bildschirme an einer Datenquelle hängen. Und hier scheidet sich die Landschaft der Werbungtreibenden in traditionell und digital. Während der digitale Werber an dieser Stelle sagt: Ja und? Guckt der klassische Außenwerber etwas irritiert: Was soll ich damit?

70 Prozent aller Bildschirme in Deutschland hängen an zwei Datenquellen. Das ist zum einen die Quelle, aus der der Bildschirm sein anzuzeigendes Motiv bekommt. Die Auswahl des jeweiligen Motivs folgt Regeln. Uhrzeit, Wetter, Ereignis und natürlich der Standort des Monitors. Damit das möglichst automatisch ausgeführt wird, werden die DOOH-Monitore an das programmatische Werbesystem angeschlossen. Die Werbungtreibenden und ihre Agenturen können das Regelwerk vorher festlegen.

Salzburgtourismus zeigt zum Beispiel dann eine Außenaufnahme mit Sonnenschein, wenn in der Zielregion gerade auch schönes Wetter ist. Regnet es, kommt ein Motiv aus einem Museum oder Konzertsaal ins Spiel. Der Anbieter von Kopfschmerztabletten hat seine Werbung so geplant, dass sie immer erscheint, wenn Fön-Wetterlage ist. Sage & Archer hat für einen niederländischen Anbieter von Hörgeräten eine Kampagne konzipiert, die immer dann anspringt, wenn die nächstgelegene Filiale gerade schlecht besucht ist und dann Zeit für einen Beratungstermin existiert.

Werbungtreibende die das Prinzip kennen, setzen auf DCO, Dynamic Creative Optimisation. Im Performance-Marketing nutzt man die Technik dazu, unterschiedliche Werbemittel gegeneinander zu testen. Die Logik der Ausspielung folgt der Analyse der Performance. Funktioniert ein Werbemittel besser als ein anderes, erscheint es häufiger oder kontinuierlich.

Der Außenwerbung fehlt die Währung „Performance“. „Das ist eine der großen Aufgaben der Branche“, sagt Claudia Zayer. Dafür kann die „Optimisation“ anderen Kriterien folgen, wie zum Beispiel unterschiedlichen Motiven für Tag und Nacht.

Oder für den Standort. Sage & Archer haben für Heineken eine Kampagne erstellt, die die Menschen bei gutem Wetter in den nächstgelegenen Biergarten schickt. Und hier kommt die zweite Datenquelle ins Spiel, das sind allerhand Sensoren und externe Zulieferquellen. So zeigt die Kampagne von Heineken auf dem Plakat eine kurze Beschreibung des Fußwegs zum nächsten Biergarten.  Die fällt unterschiedlich aus, je nachdem, wo das Motiv ausgespielt wird. Das Motiv selbst ist also dynamisch: Dynamic Creative.

Die Heineken-Werbung dirigiert die Menschen zum nächstgelegenen Biergarten © Sage & Archer

 

Fazit

Die Kreativen, Mediaplaner und Kampagnenstrategen müssen diese Möglichkeiten kennen und im Hinterkopf haben, wenn sie mit der Planung einer DOOH-Kampagne beginnen, und wenn sie das Maximale herausholen wollen. Udo Schendel, der Geschäftsführer von Weischer JvB meint: „Für Kreative wird Außenwerbung damit ein Medium, das ihnen nahezu unendlich viele Möglichkeiten der Ansprache bietet. Erste höchste einfallsreiche Kampagnen gibt es schon. Wir stehen hier aber erst am Anfang einer Entwicklung“.

Und das Social Media Team der One Tech Group, einem der wichtigsten technologischen Player im deutschen DOOH-Markt, gibt auf LinkedIn gleich konkrete Handlungsempfehlungen: 

1. Tiefgreifende Analyse der Touchpoints in all ihren Facetten

2. Berücksichtigung von Faktoren wie Verweildauer, Verfassung des Konsumenten etc. 

3. Intelligente Bespielung der jeweiligen Touchpoints mit zugeschnittenen Inhalten

4. Berücksichtigung der jeweiligen Sentiments in den Creatives

Das Paradigma unterscheidet sich nicht von dem in der gängigen digitalen Werbung, nur ist es für die Disziplin Außenwerbung nicht gelernt. Noch nicht.

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Frank Puscher ist Journalist mit über zwei Jahrzehnten Berufserfahrung.