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Vorsicht, Wachstumsschmerz!

Kleine Unternehmen wollen wachsen – sind sich aber oft nicht im klaren darüber, was das für ihre Struktur bedeutet.
Nicolas Wandschneider | 15.12.2022
Vorsicht, Wachstumsschmerz! © Freepik / branin
 

Als Steve Jobs, Steve Wozniak und Ronald Wayne am 1. April 1976 Apple gründeten, ahnten sie nicht, dass es heute das wertvollste Unternehmen der Welt sein würde. Der Gründungsmythos von Apple beruht unter anderem auf der Garage von Jobs‘ Eltern, wo er mit seinem Kumpel Wozniak den weltweit ersten Personal Computer zusammenschraubte. Jobs und Wozniak (Wayne stieg bald nach der Gründung aus) teilten die Leidenschaft für ihr Produkt, doch der Weg von der Garagenfirma zum heute mehr als 150.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählenden Weltkonzern war selbstverständlich sehr weit – und gerade zu Anfang voller Hürden, die im ersten Wachstum übersprungen werden mussten, wie in zahlreichen Büchern über die Apple-Historie nachzulesen ist.

Jeder große Konzern hat wie Apple einmal klein angefangen – und kam irgendwann an den Punkt, wo die Gründer eine zentrale Entscheidung fällen mussten: Wollen wir eine überschaubare Unternehmensgröße beibehalten, in der jeder jeden kennt, die Verantwortlichkeiten sehr grob zugeschnitten sind, letztlich aber jeder alles macht? Oder wollen wir weiterwachsen und damit dem Unternehmen ein neues Gesicht geben?

Wenn Hierarchien alternativlos sind

Wenn kleine Unternehmen schnell größer werden, gehen damit fast immer Wachstumsschmerzen einher. Gerade zu Anfang einer Gründung besteht das Start-up, ähnlich wie bei Apple, aus einer Kerngruppe von Gleichgesinnten, die eine gemeinsame Vision teilen, ähnliche Visionen und Ziele haben, für ihr Produkt und ihr „Baby“ brennen. Doch mit dem angestrebten Erfolg müssen Veränderungen einhergehen, die häufig nicht ausreichend durchdacht sind und zum Grund für ein Scheitern werden können. Denn mit der Zeit wird die Kerntruppe größer und müssen jene Teammitglieder, die zuvor alles auf gegenseitigen Zuruf erledigt haben, neue und klar definierte Verantwortungsbereiche bekommen.

Gleichzeitig wird das Team erweitert, entstehen automatisch erste Hierarchien. All das ist zunächst positiv, schließlich ist eine solche Entwicklung ein Indikator für Wachstum und dementsprechend für Erfolg. Doch wer ohne konkreten Plan in diese Phase reinläuft, setzt sein Unternehmen aufs Spiel – ein Unternehmen, das womöglich ein gutes Produkt hat, am Markt funktioniert, gut finanziert ist, aber eben auch an internen Organisationsfragen scheitern kann. Den wer zu schnell und unkontrolliert wächst, riskiert, seine Kultur aufzugeben, womöglich sind sogar Projekte und konkrete Ziele in Gefahr, bis hin zum kompletten Scheitern.

Ein kleiner Schritt mit großer Bedeutung

Das Problem dabei ist oft ein auf den ersten Blick kleiner Schritt. Dabei geht es um jenen einen Punkt, an dem das Team vom kleinen Gründerteam zum echten Unternehmen wird. Um jene Stufe, an dem man zu groß ist dafür, dass jeder irgendwie alles machen kann, dass Improvisieren zum Dauerzustand wird und die Vertrauensbasis und gemeinsame Werte-Welt alles zusammenhält; umgekehrt aber noch zu klein, um künftig nur noch in Teams zu denken.

Es ist jene Stelle, an der die Aufgaben wachsen, es aber schnell zu Doppelbelastungen kommen kann, die eine Zeitlang gutgehen, aber Menschen auch überfordern können. Die Frage lautet: Wie lange kann diese Gratwanderung gut gehen? Wie lange können Unternehmen noch in Start-up-Strukturen agieren? Wie lange tragen eine Kultur und Prozesse in wachsenden Betrieben, die noch auf kleine Gründerteams ausgerichtet sind?

Aufgabenteilung statt Zuruf

Das sind Fragen, deren Beantwortung über das Wohl und Wehe junger Betriebe und ihre Zukunftsfähigkeit entscheiden. Viele Chefs vergessen einfach, dass sie sich, wollen sie weiterwachsen, irgendwann Dingen widmen müssen, die mit ihrer Ursprungsidee oder dem Kernprodukt nicht mehr viel zu tun haben (oder sie müssen sich Leute einstellen, die das in ihrem Sinne tun): Es geht dabei um die Schaffung einer Aufgabenteilung, einer tragfähigen Organisationstruktur und Hierarchie sowie Kultur, die in einem Zehn-Personen-Betrieb anders auszusehen hat, als wenn eine Firma 30 Beschäftigte hat.

Auf diesem Weg gibt es drei zentrale Aspekte:

 

  • Erstens gilt: Wer wachsen will, muss vorausschauend definieren, wie das künftige Personaltableau auszusehen hat.
  • Zweitens: Es braucht ein einheitliches Verständnis von Zielen, eine gemeinsame Vision und eine Kultur, in der Führung auch bedeutet, dass man Aufgaben teilt und delegieren lernt.
  • Und es braucht drittens ein besonderes Augenmerk auf das Recruiting, also darauf, die richtigen Menschen für den eigenen Weg einzustellen.

Warum das Recruiting nicht vernachlässigt werden darf

Denn mit den Menschen steht und fällt das, was das Unternehmen künftig ausmacht. Es gilt also, die Werte und Kultur so klar und nachvollziehbar zu definieren, dass sie in Personal- und Einstellungsgesprächen keine unwichtige Nebensache, sondern zentraler Aspekt sind. Der demografische Wandel wird künftig immer öfter dafür sorgen, dass die Suche nach dem richtigen Personal schwieriger wird. Umso wichtiger ist hier die Haltung, an diesem Punkt gerade in der Frühphase des Wachstums keine Kompromisse einzugehen.

Der Weg vom überschaubaren Gründerteam zum professionell geführten Unternehmen ist attraktiv und wird von fast allen Betrieben angestrebt. Doch die wenigsten sind sich darüber im Klaren, was dieser Schritt für ihre Organisation bedeutet. Dabei können die hier getroffenen Entscheidungen wesentlich über die Zukunft des Unternehmens mitbestimmen.

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Nicolas Wandschneider ist Geschäftsführer der Cloudbridge Consulting GmbH mit Sitz in München.