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Künstliche Intelligenz für eine bessere Customer Experience

KI erkennt Trends, Muster und Verhaltensweisen – und verhilft damit zu mehr Innovation, individuellen Angeboten und personalisierten Ansprachen.
Daniel Renggli | 13.03.2023
Künstliche Intelligenz für eine bessere Customer Experience © Freepik / rawpixel.com
 

Das Spektrum an Anwendungsmöglichkeiten für KI und Machine Learning ist immens – das Marktpotenzial gigantisch. Gemäß einer Schätzung des World Economic Forum könnte KI im Jahr 2030 bis zu 15,7 Billionen Dollar zur Weltwirtschaft beitragen, mehr als die derzeitige Wirtschaftsleistung von China und Indien zusammen. Nach PwC dürften 6,6 Billionen Dollar auf Produktivitätssteigerungen und 9,1 Billionen Dollar auf konsumseitige Effekte zurückzuführen sein. Die Forschung von PwC [1] zeigt auch, dass 45 % der gesamten wirtschaftlichen Gewinne bis 2030 aus Produktverbesserungen stammen werden, die die Verbrauchernachfrage anregen. Dies läge daran, dass die KI eine größere Produktvielfalt hervorbringen wird, die mit der Zeit immer individueller, attraktiver und erschwinglicher wird. Damit wären wir beim eigentlichen Thema: dem Beitrag der KI zu einer besseren Customer Experience.

Die Customer Experience wird sich nicht nur über die höhere Vielfalt an Produkten und Dienstleistungen verbessern, KI kann an verschiedenen Touchpoints entlang der Customer Journey einen wesentlichen Beitrag zu einem besseren Kundenerlebnis leisten. In einer hypervernetzten Gesellschaft, die in ihrem Konsumverhalten immer mehr on- als offline ist, ist KI ein wahrer Game Changer.

Schauen wir uns im Detail an, wo KI einen Beitrag zur Verbesserung der Customer Experience leisten kann. Der Einfachheit nutze ich den Begriff «künstliche Intelligenz» auch für Machine Learning und intelligente multivariate Datenanalyse mit Mustererkennung und Handlungsempfehlungen.

Innovation und schnelle Adaption auf Veränderungen im Konsumverhalten

Beginnen wir mit der Innovation. Tatsächlich sorgt die KI dafür, dass uns Konsumenten eine immer größere Produktvielfalt zur Auswahl steht, die unsere individuellen Bedürfnisse in einer zunehmenden Granularität befriedigt. KI sorgt aber auch dafür, dass Produkte überhaupt erst auf den Markt kommen oder Dienstleistungen angeboten werden, für die eine Nachfrage nicht immer offensichtlich ist. KI hilft uns, Potenziale zu erkennen, aber auch Produkte und Dienstleistungen so zu gestalten, dass am Ende zufriedene Kunden resultieren.

Zu diesem Zweck kommen Marktforschungsanwendungen zum Einsatz, die mithilfe von KI schnell und kosteneffizient Marktforschungsdaten liefern. Dabei werden Algorithmen eingesetzt, die große Datenmengen aus einer Vielzahl von Touchpoints in wesentlich kürzerer Zeit verarbeiten als herkömmliche Marktforschungsmethoden. Marktforscher werden einwenden, dass dies nur für quantitative Erhebungen gilt. Damit irren sie sich.

Durch KI-gestütztes Sprachverständnis (NLP – Natural Language Processing) können KI-Anwendungen auch qualitative Aspekte von Sprache und Bildern immer besser bewerten. Das beweisen zum Beispiel ChatGPT und DALL-E 2 von OpenAI, Midjourney, neuroflash, Bing Chat von Microsoft oder der Neutrum Themennavigator von Hase & Igel. Natürliches Sprachverständnis und selbst die Erkennung der Tonalität in der Sprache haben riesige Fortschritte gemacht, genauso wie die Deutung von Bildern. Die KI ist bei der Auswertung qualitativer Aspekte in mancher Hinsicht den Menschen sogar überlegen, weil sie ohne Vorurteile und Klischees wertet.    

Die KI liefert uns klare Indizien dafür, was Kunden aktuell nachfragen, wie sie sich verhalten, welche Kanäle sie nutzen, oder was sie gerade beschäftigt. Einzig die Beweggründe mögen noch etwas im Dunkeln liegen. In diesen Fällen können wir mit Interviews als Teil der qualitativen Marktforschung oder eines Design-Thinking-Prozesses immer noch in die Tiefe gehen.

Das Veranstaltungsgeschäft ist für Verbände eine wichtige Säule der Mitgliedergewinnung - und eine wichtige Einnahmequelle. Während der Corona-Zeit, in der der Vor-Ort-Kontakt zu Mitgliedern und Besuchern oft nicht möglich war, fragte sich der Bundesverband für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik in Österreich (BMÖ), zu welchen Themen sich Einkäufer fortbilden und austauschen möchten – um Veranstaltungen zu organisieren, die nicht nur profitabel sind, sondern Mitgliedern einen echten Mehrwert bieten. Anstatt anhand aufwendiger Befragungen ermittelt der Verband mithilfe der KI von Hase & Igel vorausschauend die Themeninteressen – und dazu auch gleich den optimalen Marketing-Mix für die Promotion seiner Events.

Mit KI lassen sich also Grundlagen für Innovation schaffen und Produkte oder Dienstleistungen schnell auf sich verändernde Bedürfnisse im Markt anpassen – was das Kundenerlebnis verbessert und die Kundenzufriedenheit steigert.

Individuelle Kommunikation und passgenaue Angebote

Werbung empfinden viele nur dann als lästig, wenn sie nicht zu einem passt. So wollen wir keine Werbung für Pampers sehen, wenn wir keine kleinen Kinder haben – und als Vegetarier auch keine Promotion für ein Lammnierstück. 66 Prozent der Kunden erwarten von Unternehmen gemäß einer global angelegten Studie von Salesforce [2], dass sie ihre individuellen Bedürfnisse und Erwartungen verstehen. Und 52 Prozent erwarten zudem, dass Angebote immer personalisiert sind. Zu noch deutlicheren Erkenntnissen kommt McKinsey & Company in einem ihrer Reports [3]: «71 Prozent der Verbraucher von Unternehmen erwarten, dass sie personalisierte Interaktionen anbieten. Und 76 Prozent sind frustriert, wenn dies nicht der Fall ist.»

Für die Personalisierung von Werbebotschaften und Angeboten stehen uns verschiedene Techniken zur Verfügung.

Personality-Based Marketing

KI ist außerordentlich nützlich, wenn es darum geht, die Kommunikation auf unterschiedliche Persönlichkeitstypen, z. B. nach dem OCEAN-Modell, abzustimmen. Tatsächlich ergab eine im European Marketing Journal veröffentlichte Studie aus dem Jahr 2021 [4], dass die Ausrichtung von Werbebotschaften auf Personen mit bestimmten psychologischen Profilen überzeugender und effektiver war, was zu höheren Klick- und bis zu 140 Prozent besseren Conversion Rates führte. Wenn Big Data (ausgewertet per KI) auf Verhaltenspsychologie trifft, können wir empathischer und überzeugender mit unseren Kunden kommunizieren und deren Reaktion auf unsere Marketingbotschaften besser vorhersagen.

Erkenntnisse über die Persönlichkeit einer Person gewinnt man meist aus deren digitalem Schatten, rückverfolgbaren digitalen Aktivitäten im Web wie beispielsweise Beiträge in Social Media, aber auch direkt über Befragungen nach Kaufmotiven. Beide Verfahren bieten die Möglichkeit, eine bessere Verbindung zu Einzelpersonen herzustellen, und Produkte, Dienstleistungen oder Erfahrungen besser aufeinander abzustimmen. Wenn dies auf ethische Weise geschieht, werden es die Kunden schätzen und die Customer Experience gewinnt.

Es gibt aber auch Negativbeispiele, in welchen «Personality-Based Marketing» zwar gut funktionierte, aber ethische Grundsätze und geltendes Recht verletzt wurden. Das bekannteste: die Wahlkampagne von Cambridge Analytica für Donald Trump unter Verwendung von personenbezogenen Daten aus Facebook.

Predictive Personalization

Im Gegensatz zu «Personalty-Based Marketing» stützen wir uns bei der «Predictive Personalization» weniger auf Persönlichkeitstypen ab, sondern vielmehr auf das bisherige und aktuelle Verhalten, ausdrücklich geäußerte Präferenzen sowie historische Kaufdaten. Als Konsumenten schätzen wir, dass uns Unternehmen wie Amazon, Netflix oder Spotify Bücher, Filme und Musik vorschlagen, die wir höchstwahrscheinlich mögen, weil wir schon Ähnliches konsumiert haben. Dahinter stecken vergleichsweise einfache Algorithmen.

Komplexer wird es mit «Predictive Modeling», wo mit einer Vielzahl an Variablen operiert wird, die Umwelteinflüsse, Veränderungen im Markt, Saisonalität, etc. miteinschließen. Beiden Ansätzen gemein ist, dass sich aus dem Verhalten und den aktuellen Erwartungen die Kundenkommunikation effektiver gestalten und die «Next Best Action» ableiten lässt – eine auf künstliche Intelligenz beruhende, datengestützte Handlungsempfehlung in Echtzeit, die von Konsumenten in aller Regel geschätzt wird. Dazu gehören beispielsweise Leseempfehlungen (passende Inhalte), Testangebote oder zeitlich beschränkte Promotionen.    

Nicht alle führenden Marken nutzen KI als Möglichkeit, ihren Kunden ein nahtloses Erlebnis zu bieten, das wirklich personalisiert ist. Dazu ein weiteres Negativbeispiel: Trotz eindeutiger Identifikation, muss man sich bei Nespresso durch viele Seiten klicken um die immer gleichen vier Sorten Kaffees zu bestellen. Vermutlich steckt hier die gleiche Absicht dahinter, wie sie die Großverteiler verfolgen mit ihren regelmäßigen Sortimentsumstellungen in den Regalen: Schau, was wir sonst noch alles zu bieten haben! Aus Sicht der Customer Experience ist der Express Check-out von Paypal, der in mehr und mehr Online Shops zu finden ist, eindeutig die bessere Lösung. Fairerweise muss ergänzt werden, dass Nespresso via die in der Schweiz weitverbreitete Bezahl-App Twint auch eine Möglichkeit bietet, schnell und unkompliziert zu bestellen.

Contextual Targeting

In eine ähnliche Richtung wie das Personalty-Based Marketing geht das kontextuelle Targeting. Hier orientieren wir uns allerdings nicht an der Persönlichkeit per se, sondern vielmehr an dem, was eine Person online an Inhalten konsumiert und generiert. In diesem Kontext platzieren wir dann unsere Inhalte. Allen dieselben, einfachen Werbebotschaften auszuspielen wird sicher wenig bis nichts zu einer besseren Customer Experience beitragen. Die hohe Schule der Anbahnung ist es, Kunden mit für sie relevantem und ansprechendem Content zu fesseln. Passende Infografiken, Erklärvideos oder Ratgeber sorgen für ein höheres Engagement der Kunden und wenn nicht für eine bessere Customer Experience, dann zumindest für eine positive Brand Experience.

Für alle drei hier skizzierten Techniken benötigen wir verlässliche Daten. Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, wenn ich hier im Detail auf die Beschaffung und die Verarbeitung der entsprechenden Daten eingehen würde. Wichtig zu wissen ist aber, dass in allen drei Fällen datenschutz- und gesetzeskonform personalisiert werden kann – ganz ohne Cookies. Wo keine First-Party-Daten vorhanden sind, geschieht dies mittels aggregierten und anonymisierten Daten. Gerade Bestandskunden sind aber in der Regel gerne bereit, etwas mehr von sich preiszugeben, wenn ihnen als Gegenleistung ein Mehrwert geboten wird.

In naher Zukunft werden intelligente Bots wie ChatGPT oder Bing Chat eine größere Rolle im kontextuellen Targeting und der Personalisierung spielen. Die Chat Bots können heute schon dazu verwendet werden, mit wenig Aufwand gute Inhalte zu erzeugen. Bots werden zukünftig aus Content, der sich auf unserer Webseite oder in einem internen Content Repository befindet (wir wollen schließlich die Kontrolle über unsere Brand Messages behalten), dynamisch personalisierte und damit relevante Inhalte schneidern für Chats, E-Mail- oder Social Media-Kampagnen. Oder gleich passende Produkte vorschlagen.   

In die Personalisierung zu investieren, lohnt sich in jedem Fall. McKinsey glaubt, dass Personalisierung den Umsatz über alle Industrien gesehen um 10 bis 15 Prozent steigert [3] und den  ROI der Marketingausgaben (ROMI) um das fünf- bis achtfache verbessert [5]. Dass die Personalisierung auch zu einem besseren Kundenerlebnis beträgt, ist selbstverständlich.

Hier geht es zum zweiten Teil des Artikels: Wie KI das Kundenerlebnis revolutioniert.
https://www.marketing-boerse.de/fachartikel/details/2312-wie-ki-den-kundendienst-revolutioniert/190114

 

 

Quellen:

[1] https://www.pwc.com/gx/en/issues/data-and-analytics/publications/artificial-intelligence-study.html

[2] https://www.salesforce.com/resources/articles/customer-engagement/

[3] https://www.mckinsey.com/capabilities/growth-marketing-and-sales/our-insights/the-value-of-getting-personalization-right-or-wrong-is-multiplying

[4]  https://www.researchgate.net/publication/348688520_Using_AI_Predicted_Personality_to_Enhance_Advertising_Effectiveness/link/602b7729299bf1cc26cb79e9/download

[5] https://www.mckinsey.com/capabilities/growth-marketing-and-sales/our-insights/personalizing-at-scale

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Daniel Renggli ist langjähriger Marketingprofi, Technologie-Kenner und CX-Enthusiast.