print logo

360-Grad- und 1:1-Personalisierung im Handel

Selbstlernende Algorithmen ermöglichen schnelle, datengetriebene Entscheidungen.
Markus Elbers | 20.10.2023
© fotolia / peterschreiber.media
 

Heute erwarten die Konsumenten ein auf sie zugeschnittenes positives Shopping-Erlebnis an jedem Punkt der Customer Journey. Big Data und künstliche Intelligenz bringen den Händler näher an ihre Kunden als jemals zuvor. Mit den Vorteilen intelligenter Echtzeitlösungen holen die besten Retailer ihre Kunden jederzeit genau dort ab, wo diese es sich wünschen.

Einsatzmöglichkeiten von KI-Verfahren

Es gibt eine Vielzahl von KI-Anwendungen für Personalisierung, Dynamic Pricing und Realtime Prediction (siehe Abb. 1). Algorithmen bieten detaillierte Informationen über Produkt- und Kundenverhalten und ermöglichen es Händlern, schnelle, datengetriebene Entscheidungen für ihren Geschäftserfolg zu treffen.

Im Anwendungsgebiet „Personalization“ dreht sich alles um die 360- Grad- und 1:1-Sicht auf den Kunden: In Echtzeit über alle Kanäle hinweg die relevante Information zur „Next Best Action“ auszuspielen. Beim Thema Dynamic Pricing steht der Preis im Mittelpunkt: Auf Basis der Nachfrage über das komplette Artikelsortiment wird die Preiselastizität pro Produkt berechnet und mithilfe von Absatzprognosen ein zielgestützter Preis ermittelt. Unterschiedliche algorithmische Modelle unterstützen die dynamische Bepreisung über den gesamten Produktlebenszyklus. In Kombination mit dem Thema „Personalization“ können so für personalisierte Produktempfehlungen eines Kunden individuelle Rabatte ermittelt werden („Couponing“), beispielsweise zur Kundenwertentwicklung. Eine weitere Möglichkeit der Verbindung besteht in der Berechnung von Produkt-Bundles, die einen spezifischen Bundle-Preis erhalten („Bundling“).

Abschließend befasst sich das Thema „Realtime Prediction“ mit Prognose- verfahren, die historische Analysen mit Echtzeitdaten verknüpfen, um darauf aufbauend ein gewisses Verhalten zu prognostizieren. Ein Beispiel aus dem E-Commerce ist die Analyse von Wahrscheinlichkeiten für einen „Warenkorb-Abbruch“ („Decrease shopping cart abandonment rate“). Wird diese als hoch eingestuft, kann dem Kunden ein Incentive ausgespielt werden, um das Absenden der Bestellung zu befördern. Im stationären Handel werden solche selbstlernenden Verfahren zur Prognose von „Betrugs-Erkennung“ („Fraud Detection“) beispielsweise im Self-Scanning-Prozess genutzt.

- Abb. 1: Lösungsportfolio -

Im weiteren Verlauf wird vor allem auf den Bereich „Personalization“ näher eingegangen.

KI und Personalisierung

Zur Erklärung des Zusammenspiels von KI und Personalisierung hilft die Analogie zum Schachspiel: Die KI-Software erkennt die „Züge“ des Kunden, antizipiert die Kette aller möglichen nächsten Ereignisse und gestaltet die eigenen Aktionen (zum Beispiel Produktempfehlungen) so, dass sie „das Spiel“ (zum Beispiel den Zielparameter Umsatzoptimierung) gewinnt. Je intelligenter die Personalisierungslösung ist, desto erfolgreicher arbeitet sie. Die KI lernt neue Personalisierungsregeln automatisch und in Echtzeit. Dies geschieht auf der Basis von Klicks, Warenkörben, Käufen, externen und internen Suchanfragen, geklickten Kategorien und Bannern sowie selbstgewählten Events (= Machine Learning). Sie sammelt die dazu notwendigen Daten selbstständig und fortwährend. Die KI erkennt Muster und Gesetzmäßigkeiten in den Daten und kann ihr Wissen auch auf unbekannte Daten anwenden.

Das ermöglicht Personalisierung ab dem ersten Klick. Die Algorithmen erkennen aber nicht nur das Kundenverhalten und reagieren darauf (zum Beispiel mit individuellen Empfehlungen), sondern sie messen zugleich die Akzeptanz der ausgespielten Inhalte (= Reinforcement Learning). Wird eine ausgespielte Empfehlung vom Kunden akzeptiert (das heißt geklickt), belohnt sich das System. Wird die Empfehlung nicht akzeptiert, erfolgt keine Belohnung. So lernt die KI mit jedem Zug die Kunden besser kennen und geht zielgerichteter auf die individuellen Präferenzen jedes Einzelnen ein.

Außerdem kann die KI-Software durch sogenannte „Exploit- und Explore“-Mechanismen von den gelernten Mustern abweichen, zum Beispiel, um Produkte oder Inhalte zu empfehlen, die schon lange nicht mehr oder noch nie empfohlen wurden. Indem die KI neue Varianten probiert, stellt sie sicher, dass ihr Lern- und Aktionsspielraum flexibel bleibt. Für die Kunden bedeutet das, dass sie immer auch neue Inhalte oder Produkte sehen. Sie bleiben nicht in einer Filterblase stecken. Das bietet vor allem für schnell wechselnde Sortimente große Vorteile: Produkte neuer Kollektionen oder Marken fließen sofort und automatisch in die Empfehlungen ein.

KI-getriebene Systeme greifen bei den Empfehlungen oder der Personalisierung von Inhalten nicht allein auf die Daten aus dem Shop in Echtzeit zurück, sondern auch auf weitere Datentöpfe zu. Hier bilden die Kaufhistorie und auch der Verlauf der im Shop besuchten Seiten eine Informationsquelle. Eine leistungsfähige Empfehlungs-Engine zur Ausspielung personalisierter Inhalte greift auf unterschiedliche Logiken von Empfehlungen zurück.

  • Produkte, zum Beispiel die Empfehlung von Produkten, die zusammen mit dem jeweiligen Produkt geklickt oder gekauft werden.
  • Bildähnlichkeiten, die Empfehlungen erkennen Muster oder Farbvarianten und schlagen ähnliche Artikel vor.
  • Kategorien, zum Beispiel Empfehlungen aus einer Kategorie, die passend zur aktuellen Kategorieseite auf Basis des Verhaltens aller Nutzer angezeigt werden.
  • Nutzer, zum Beispiel Empfehlungen, die auf Basis von aktuellen und früheren Verhaltensdaten des Kunden berechnet
  • Suchbegriffe, zum Beispiel Produktvorschläge, die auf der Grundlage des eingegebenen Suchbegriffs und des Verhaltens aller Nutzer berechnet werden.

Eine intelligente Personalisierungslösung wertet in Echtzeit große Datenmengen aus, erkennt Muster und spielt die „richtige“ Aktion aus, um die unternehmerische Zielstellung des Händlers zu erreichen. Welche Möglichkeiten sich daraus für den Omnichannel-Handel ergeben, erläutert der nächste Abschnitt.

Omnichannel-Personalisierung im Handel

Personalisierung im Handel beschreibt die nutzerspezifische Anpassung von Inhalten an jedem Kundenkontaktpunkt (Touchpoint). Personalisierung kann aber nur gelingen, wenn Händler über genügend Daten verfügen. Nur so werden die individuellen Präferenzen der Kunden erkannt. Diese Daten gewinnt man beispielsweise aus vorangegangenen Besuchen des Onlineshops, aus den Kundenstammdaten oder den aktuellen Verhaltensdaten. Die Personalisierungslösung sammelt die Daten ein und wertet sie in Echtzeit aus. Ein typischer Anwendungsfall ist die personalisierte Anpassung der Empfehlungen auf der Produktdetailseite im Onlineshop. Weitere Einsatzmöglichkeiten und personalisierbare Elemente zeigt Abbildung 2.

Omnichannel-Personalisierung betrachtet das Thema ganzheitlich: Es zählt nicht nur die Ausspielung von Produktempfehlungen auf einer Fläche, sondern immer die gesamte Personalisierungsstrategie über die unterschiedlichen Touchpoints hinweg. Personalisierung zielt auf Händlerseite auf die Maximierung des Kundenwerts ab.

 

- Abb 2: Personalisierbare Elemente -

Das Gabler Wirtschaftslexikon definiert Omni-Channel-Retailing oder „All-Kanal-Vertrieb“ als „das synergetische Planen, Steuern und Kontrollieren der zahlreichen verfügbaren Vertriebskanäle und Kundenkontaktpunkte („Customer-Touchpoints“), um das Kunden- erlebnis und den Unternehmenserfolg über die verschiedenen Vertriebskanäle und Prozessschritte hinweg zu optimieren.“ [1]

Omnichannel bedeutet hier, dass Kunden zwischen den verschiedenen Kanälen, zum Beispiel Store, Onlineshop, mobiler Shop oder App, Callcenter, Teleshopping, Social Media, Katalog oder Außendienst wechseln, sogar innerhalb des Kaufprozesses. Für Kanäle wird oft auch der Begriff Touchpoints verwendet, wobei Touchpoints auch Kontaktpunkte zwischen Unternehmen und Kunden sein können, die keine Verkaufskanäle sind (siehe Abb. 3).

 

- Abb. 3: Touchpoints entlang der Customer Journey -

Für Kunden bietet der Omnichannel-Handel den Vorteil, dass sie die Wahl haben, welchen Kanal sie jeweils bevorzugen. Omnichannel- Händler hingegen stehen vor der Herausforderung, ihre Kunden über alle Kanäle individuell anzusprechen und ihre gesamte Customer Journey zu personalisieren. Synonym werden oft die Begriffe Multichannel und Crosschannel verwendet, genau genommen bezeichnen diese Begriffe Entwicklungsstufen von getrennten Verkaufskanälen hin zum echten Omnichannel-Handel.

Händler optimieren durch Personalisierung Absatz, Umsatz oder Ertrag über den gesamten Kundenlebenszyklus hinweg. Allerdings bringt Personalisierung auch bedeutende Vorteile für Kunden mit sich. Maßgeschneiderte Inhalte steigern die kundenspezifische Relevanz. Aus dieser Relevanz entsteht Aufmerksamkeit, die wiederum zu höheren Klick- und Kaufraten führt. Wenn sich die Kunden wohlfühlen, kommen sie auch gerne wieder. Personalisierung im Handel bedeutet, jedem Kunden das perfekte Angebot, zum idealen Zeitpunkt und über den richtigen Kanal anzubieten.

Sie stärkt die Kundenbindung, da nur solche Inhalte ausgespielt werden, die für jeden einzelnen Kunden relevant sind. Dies führt in letzter Konsequenz zu mehr Umsatz aufseiten der Händler.

Auf dem Weg dahin überzeugt Personalisierung in mehreren Bereichen:

  • Bessere Usability in Onlineshop und App durch weniger Klicks: Beispielsweise durch Anpassung der Navigation an die Gewohnheiten der Kunden. Das reduziert die Anzahl und Komplexität des Navigationsmenüs und bietet mehr Übersicht. Der Kunde findet sich schneller zurecht und muss weniger Entscheidungen treffen.

  • Höhere Klick- und Kaufraten durch mehr Aufmerksamkeit: Passende Angebote, die den Kunden zum richtigen Zeitpunkt und über den richtigen Kanal erreichen, bestechen durch Relevanz. Das kann eine Produktempfehlung im Onlineshop sein, redaktioneller Content im Newsletter oder auch eine Push-Benachrichtigung mit einem personalisierten Coupon.

  • Geringere Kosten durch die Automation personalisierter Inhalte: Automatisierung bringt enorme Zeit- und Kosteneinsparungen mit sich – und das bei einer Steigerung der nutzerspezifischen So erstellt die KI beispielsweise automatisch für jeden einzelnen Kunden den passenden Newsletter und sendet diesen zum als ideal berechneten Zeitpunkt für den jeweiligen Empfänger ab. Das Gleiche gilt auch für das Ausspielen von personalisierten Inhalten auf Digital-Signage- Lösungen in der Filiale.

  • Beim Einkauf im physischen Store: Auf Basis der bekannten Kaufgewohnheiten des Kunden ermittelt die KI, welche Aktionen oder Empfehlungen für den Kunden basierend auf seinem aktuellen Warenkorb, seiner Position im Store und gegebenenfalls im Abgleich mit seiner hinterlegten Einkaufsliste sinnvoll sind und spielt diese aus. Zur Vermeidung unnötiger Deckungsbeitrag-Reduktion wird dabei individuell nur so viel Rabatt gewährt, wie auf Basis der Datenlage gerade notwendig ist, um den Kunden zu überzeugen.

Echtzeitlösungen reagieren unmittelbar auf jede Änderung des Kaufverhaltens mit relevanten Empfehlungen. Zur Verdeutlichung werden im nächsten Abschnitt zwei Best Practices aus dem Handel vorgestellt.

360-Grad- und 1:1-Personalisierung in der Praxis

Die WMF GmbH bietet sowohl B2B- als auch B2C-Kunden hochwertige Produkte für eine außerordentliche Koch-, Trink-, und Esskultur. Das digitale Sortiment von WMF umfasst rund 3000 stilvolle Begleiter für kulinarische Erlebnisse. Seit 2019 setzt das Unternehmen auf eine personalisierte Kundenansprache im Onlineshop und Newsletter.

Im regelmäßigen WMF-Newsletter erhalten Empfänger Artikel- empfehlungen, die erst mit dem Öffnen des Newsletters in Echtzeit auf Basis des Nutzerverhaltens in Onlineshop und Newsletter ermittelt werden. Besonderes Augenmerk legt das Unternehmen auf automatisierte Kampagnen-Newsletter. Dabei werden die Kunden selektiert, die sich für ein bestimmtes Produkt oder Produktkategorie interessieren. Kunden des WMF-Onlineshops erhalten zeitnah nach ihrem Besuch einen Kampagnen-Newsletter mit Empfehlungen aus ihrer Lieblingskategorie.

Die Informationen zu den Produktpräferenzen der Kunden werden zurück ins CRM-System von WMF gespielt. Neben den verschiedenen Newsletter-Formaten stimmt WMF auch die Inhalte im Onlineshop individuell auf seine Besucher ab. Kunden profitieren von einem personalisierten Einkaufserlebnis, beispielsweise auf der Startseite, auf Kategorieseiten, Artikeldetailseiten oder Warenkorbseiten. Die angezeigten Empfehlungen fördern das Cross-Selling im WMF- Onlineshop und sorgen für höhere Warenkorbwerte.

- Abb. 4: WMF Best practice zu Automatisierten Kampagnen -

Die Omnichannel-Plattform coop.ch ist Teil des international tätigen Schweizer Detail- und Großhandelsunternehmens Coop Genossenschaft mit über 91.000 Mitarbeitern weltweit. Der Onlineshop bietet Kunden eine Auswahl von mehr als 17.000 Produkten in den Kernsortimenten Lebensmittel, Weine, Haushalt, Tierwelt und Drogerie. Um seinen Kunden effektive Kaufanreize für den Online-Supermarkt zu bieten, setzt Coop auf individualisierte Coupons. Die Produkte für die Vouchers werden auf Basis des individuellen Kaufverhaltens jedes Kunden im Supermarkt und im Onlineshop berechnet.

Diese Produktempfehlungen werden mit einem fixen Rabatt kombiniert und im Newsletter ausgespielt. Der positive Effekt des Einsatzes der individuellen Coupons wurde in einem einmonatigen A/B-Test seitens Coop nachgewiesen. Die Coupon-Empfänger erreichten im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne personalisierte Coupons einen höheren Nettoumsatz und eine gesteigerte Einkaufsfrequenz, ohne dass die Rabattwerte negativ auf den Deckungsbeitrag einwirkten. Der Einfluss der personalisierten Coupons auf das Online-Einkaufsverhalten der Coop-Kunden wird insgesamt als sehr positiv bewertet.

- Abb. 5: coop Best Practice iCoupon im Newsletter -

Zusammenfassung

Eine ganzheitliche Omnichannel-Personalisierung ist die Basis für eine erfolgreiche Customer-Centricity-Strategie. Der 360-Grad- und 1:1- Blick auf den Kunden bildet die Grundlage dafür. Die Kunden erwarten heutzutage Angebote, die relevant sind und zu ihren persönlichen Bedürfnissen und Interessen passen. Individuelle Einkaufserlebnisse schaffen eine emotionale Erfahrung mit der Marke und heben das Sortiment aus der Masse der Angebote heraus. Die passenden Inhalte, zur richtigen Zeit am jeweils aktuell relevanten Touchpoint steigern nachweislich Umsatz und Kundenbindung.

 

Literatur

[1] Gabler Wirtschaftslexikon (2018): Omni-Channel-Management – https:// wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/omni-channel-management-54201/ version-277253 – Zugriff 05.10.2022

Weiterführende Literatur

GK Software: GK Artificial Intelligence for Retail https://www.gk-software.com/de/loesungen/air – Zugriff 03.09.2022

Lamprecht, St. (2018): Echte Personalisierung statt Rabatte. etailment. – https://etailment.de/news/stories/personalisierung-durch-ki-online-POS-21644  – Zugriff 05.10.2022

Böhm, A. (2022): Couponing in der Gewinnzone. The Retail Optimiser. – https://retail-optimiser.de/couponing-in-der-gewinnzone/ – Zugriff 22.08.2022