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Googles KI: der Türsteher vor den Nachrichten

Wohl zwischen 20-40 Prozent weniger Traffic für Verlags-Websites, wenn Google und Microsoft kommentierende KI neben die Suchergebnisse stellt.
Frank Puscher | 23.12.2023
Bild 1: Cathy Edwards plant eine Reise mit dem Chatbot © Google Screenshot
 

Es hat sich angedeutet: Wenn Google und Microsoft eine kommentierende Künstliche Intelligenz neben ihre Suchergebnisse stellen, werden weniger User auf Verlags-Websites ankommen. Jetzt liegen erste Zahlen vor. Der Traffic-Verlust könnte zwischen 20 und 40 Prozent liegen.

Wer Google nach nackten Daten, Zahlen oder Fakten gefragt hat, bekommt schon seit einigen Jahren eine direkte Antwort. „Wie hoch ist der Eiffelturm“? 300 Meter. Wobei: Testen Sie diese Frage einmal. Google zeigt zwei unterschiedliche Höhen, nämlich die architektonische Höhe und das sind eben die 300 Meter und eine maximale Höhe (mit Spitze). Dann sind es 330 Meter.

All das sieht der Nutzer auf den ersten Blick. Er braucht die erste Suchergebnisseite nicht zu verlassen, um zum Beispiel auf der Website HelpTourists (erster Suchtreffer nach Wikipedia) den längeren Artikel zu lesen. Dabei hält der noch viel mehr spannende Informationen bereit. Zum Beispiel, dass auf der ersten Etage ein Glasboden verbaut ist, der dem Besucher etwas Nervenkitzel beschert. Reisebloggerin Denise Urbach hat Basisinformationen zusammengetragen und mit einigen hübschen Bildern garniert. Geld verdient sie mit Werbung auf der Seite oder mit Affiliate-Links zum Reiseportal GetYourGuide.

Aber nur, wenn jemand kommt.

Bei der reinen Faktensuche kann man das verschmerzen. Der Streuverlust wäre riesig, wenn Menschen sich aus ganz anderen Gründen für die Höhe des Turms interessieren, als für die Planung eines Parisbesuchs.

Aber wir sprechen von der Zeit vor Generative AI. Google selbst hat auf der Hauskonferenz I/O im Mai ein Beispiel gezeigt, wie man mithilfe des Chatbots Bard eine Reise plant (siehe Bild 1).

Davon ausgehend, dass der Chatbot richtige Antworten und Vorschläge liefert, wird er zum Gatekeeper. Welches Restaurant empfiehlt Bard für ein „typisch französisches“ Abendessen? Den wunderbaren „Geheimtipp“ oder einfach das Lokal desjenigen, der am meisten Werbung bei Google bucht?

Bard schreibt ….

Es ist leicht zu erkennen, dass Google hier die Chance hat, sich eine neue, riesige Monetarisierungsoption aufzubauen. So wie es der „Wissensvorsprung“ von Google Anfang dieses Jahrtausends bereits ermöglichte. Durch den „Wissensvorsprung“ entstand die Marktmacht, die dazu geführt hat, dass sich kaum ein Onlineanbieter erlauben kann, nicht auf Google zu werben, wenn man bei einem Thema prominent gefunden werden will.

Noch deutlicher wurde dieser Ansatz in einem zweiten Beispiel während der I/O. Cathy Edwards, Vice President Engineering, zeigte auf der Google-Veranstaltung, wie Bard ihr beim Einkaufen helfen kann. Sie formulierte ihr Bedürfnis, der Chatbot erstellte daraus Produktkriterien. Nachdem Edwards diese Kriterien bestätigte, suchte Bard ihr ein einzelnes E-Bike heraus und verlinkte auf unterschiedliche Händler.

 

Bild 2: Cathy Edwards sucht nach einem neuen eBike und bekommt sehr konkrete Vorschläge © Google Screenshot

Was auf den ersten Blick wie eine coole Funktion von Generative AI wirkt, könnte eine Katastrophe für die Händler werden. Allerdings haben die Händler und Regulierer zumindest in Europa ein scharfes Schwert zur Hand, die Kennzeichnungspflicht. Das Trennungsgebot zwischen Content und Werbung zwingt Google und Bard dazu, bezahlte Links als solche zu markieren. Dennoch ist absehbar, dass der Kampf um eine gute Position in der Bard/Google-Suche-Kombo vor allem über Budget ausgetragen wird. Cathy Edwards, brachte es schon im Mai auf den Punkt: „Wir wissen, wie wichtig Anzeigen sind, damit Kunden und Unternehmen zusammenfinden“.

Das alles ist unterdessen nur Vorgeplänkel für die „eigentliche Revolution“. Während eine Reiseplanung oder eine Kaufabsicht immer noch einen Abschluss, eine Conversion benötigen, gilt das beim Journalismus nicht. Wenn Bard oder ChatGPT, mit ihren unbestreitbaren sprachlichen Fähigkeiten, Nachrichtenmeldungen live schreiben, während der Nutzer zuschaut, dann werden einige dieser Nutzer mit der Informationsfülle an dieser Stelle zufrieden sein. Sie werden nicht auf die Verlags-Websites wechseln, keine Werbung anschauen und keine Abos abschließen. Warum sollten sie. Im Zweifel wird Bard schneller aus mehr Quellen schöpfen können als jeder Journalist.

The Atlantic hat es berechnet

Für Verlage ist dieses Horrorszenario nicht neu. Im ersten Schritt wird es solche Verlage besonders hart treffen, die in der Vergangenheit viel Expertise im SEO-Bereich aufgebaut haben und auf dem Traffic von Google große Teile des eigenen Geschäftsmodells gründen. Das trifft zum Beispiel auf viele Publikationen aus dem Ippen-Universum zu (Merkur.de, TZ.de oder 24auto.de). Jahrelang wurde die Ippen-Gruppe in den höchsten Tönen gelobt und von vielen Verlagskollegen neidisch bestaunt. „Die Google-Flüsterer“ aus München pflegten intensive Kontakte zu den besten Suchmaschinenoptimieren Deutschlands und ihre Seiten rangierten bei vielen Themen sehr weit oben auf der Suchergebnisseite.

Und jetzt droht Traffic-Verlust. Seit Mai dieses Jahres testet Google mit rund 10 Mio. Nutzern, wie sich das Such- und Surfverhalten der Menschen ändert, wenn Bard sie beim Suchen begleitet. Es handelt sich um erste Experimente und Google tut alle Traffic-Messungen als pure Spekulation ab, da man sich noch in keiner Weise entschieden habe, wie und in welchem Ausmaß die „neue Suche“ tatsächlich ausgerollt wird. Aber Google hat in den letzten Monaten gezeigt, dass man sich durch Bing, ChatGPT und OpenAI schon unter Druck gesetzt fühlt und im Zweifel auch bereit ist, eher schnell eine neue Lösung zu präsentieren, als mit dem letzten Quentchen Sorgfalt zu agieren.

Insofern sind die Zahlen, die das US-Medium „The Atlantic“ berichtet, alarmierend. Man hat in den Statistiken jene Nutzer ausfindig gemacht, die über die neue Form der Google-Suche auf die Website kommen. Das hat man mit statistischen Zwillingen hochgerechnet auf den Gesamt-Traffic. Und siehe da: „The Atlantic“ verliert eigenen Angaben zufolge zwischen 20 und 40 Prozent des Google-Traffics. Gut für das Medium, dass insgesamt nur 40 Prozent der Nutzer auf diesem Weg kommen. Die anderen 60 Prozent kommen direkt oder über Social Media.

Bild 3: Google's New Search Tool Could Eat the Internet Alive © Atlantic Screenshot

„Generative AI hat das Zeug dazu, den Journalismus, wie wir ihn kennen, zu zerstören“, sagte vor einigen Wochen Mathias Döpfner, der Chef von Axel Springer. In Berlin geht man in zwei Richtungen. Man lotet aus, wie sich die eigenen, publizistischen Angebote mittels KI besser machen oder effizienter herstellen lassen. Ein Experiment bei Axel Springer ist der News-Chatbot der „Bild“. Nutzer sollen in Zukunft mit der „Bild“ in Dialog treten können und Hintergründe zu Nachrichten einfach erfragen. Ein ganz ähnliches Projekt verfolgt man bei Ringier in der Schweiz und dem „Bild“-Pendant „Blick“.

Ein weiteres Experiment wurde gerade letzte Woche verkündet. Das News-Portal „Upday“ soll so umgebaut werden, dass es weitgehend von einer KI mit Nachrichten bestückt wird.

Der zweite Teil der Springer-Strategie ist die Verhandlung mit Google und Microsoft bzw. OpenAI. Ebenfalls letzte Woche gab man ein nicht näher spezifiziertes Kooperationsabkommen bekannt. Die Vermutung liegt nahe, dass Springer seinen Content für Suchmaschine und Chatbot zur Verfügung stellt, um im Gegenzug bei den angezeigten Links prominent vertreten zu sein. In den USA haben „Fox“ und die „New York Times“ bereits ähnliche Abkommen mit Google unterzeichnet.

Fazit

Aber es bleibt ein dickes Fragezeichen. Bard und ChatGPT haben mit den Inhalten der Verlage trainiert, denen sie jetzt auf Dauer schaden könnten. Vor allem Fachverlage und kleinere, spezialisierte Medien werden sich schwertun, mit den Digitalriesen in Verhandlung zu treten. Hier sind Verbände und Regierungen gefragt.

Andererseits kann es nicht das Ziel von Google sein, die Geschäftsmodelle der Verlage nachhaltig zu beschädigen. Würden die Verlage ihre Inhalte gegenüber den Chatbots sperren, würde die Qualität der Antworten von Bard oder ChatGPT auf Dauer leiden. „Der Spiegel“, „CNN“ und die Nachrichtenagentur „Reuters“ haben das bereits öffentlichkeitswirksam verkündet. Die „New York Times“ und die „Bild“ auch, aber offensichtlich mit dem Hintergedanken, sich eine gute Verhandlungsposition zu verschaffen.

Vermutlich stehen Debatten, Verhandlungen und (Gerichts-)Streitigkeiten ins Haus, gegen die die ganze Diskussion um das Leistungsschutzrecht bezüglich einer „fairen“ Vergütung der Verlage eher Kindergartenniveau hatte. Und aus Perspektive der publizistischen Vielfalt ist der Gedanke schwer erträglich, dass Google die Verlage per Geld-Transfers alimentiert.

Sidenote: Ein solches System gibt es ganz in unserer Nähe. In Österreich leben die Medien gut von staatlicher Wahlwerbung. Die Zuteilung der Gelder obliegt allerdings der jeweils handelnden Regierung. Das macht es für regierungskritische Medien nicht wirklich einfacher.

 

Weiterführende Links:

Wall Street Journal zu den Zahlen von The Atlantic
https://www.wsj.com/tech/ai/news-publishers-see-googles-ai-search-tool-as-a-traffic-destroying-nightmare-52154074

„Bild“-Chatbot namens „Hey_“
https://www.bild.de/digital/2023/digital/neu-bei-bild-so-einfach-funktioniert-hey-84670222.bild.html

KI im Journalismus in der Schweiz
https://www.srf.ch/news/wirtschaft/als-unterstuetzung-schweizer-medien-setzen-auf-kuenstliche-intelligenz

Analyse zu den Auswirkungen der KI-ChatBot-Suche auf US-Medien
https://www.benzinga.com/news/23/12/36236482/googles-ai-search-a-double-edged-sword-for-publishers-like-the-atlantic

Googles schlampige Präsentation von Gemini
https://www.meedia.de/marken/generative-ai-gemini-google-patzt-bei-ki-vorstellung-schon-wieder-4b1c94cbe564fff7bb2ea224bb5f3568

Kritik an der „Inseraten-Politik“ in Österreich
https://kurier.at/politik/inland/medienfoerderung-regierung-bevorzugt-boulevard-und-gratiszeitungen/401432371

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Frank Puscher ist Journalist mit über zwei Jahrzehnten Berufserfahrung.